ODER

DAS MÄRCHEN VOM GLÜCKLICHEN SCHWELLENLAND

Bild: Stefan Keller, Pixabay

Es war einmal, vor langer langer Zeit, ein armes Land. Das hatte einen König und eine Königin. Eines Tages bekamen die beiden eine Tochter. König und Königin sahen sich ihre Tochter an und fanden, dass sie das schönste kleine Mädchen auf der ganzen Welt sein musste. „Wie soll sie denn heißen?“, fragten die Höflinge, und der König antwortete „Berta!“

Da kicherte der ganze Hofstaat verstohlen. Einer aber wagte es, dem König zu antworten. Es war der königliche PR-Berater. „Nee sorry Boss, aber „Berta“ geht echt gar nicht! Das ist einfach kein Name für eine Prinzessin.“ „Ach so!“, sagte der König. „Gut, dann heißt sie eben anders. Wie wär´s mit Laberta?“ Da kicherte der ganze Hofstaat noch lauter.

Dem König wurde es allmählich zu bunt. Er rief laut „Ruhe! Die Kleine ist immer noch meine Tochter. Und ich befehle: Sie soll Liberta heißen! Basta!“ Der königliche PR-Berater rollte mit den Augen, traute sich aber nicht, noch etwas zu sagen. So bekam die Königstochter den Namen Liberta.


Die kleine Liberta wuchs heran

Sie wurde eine wunderschöne Prinzessin. An ihrem 18. Geburtstag aber, als das Mädchen erwachsen und heiratsfähig wurde, erschien ein böser Zauberer am Hof.

Die Gesandten aus anderen Ländern waren gerade dabei, ihre Geburtstagsgeschenke zu überreichen. So fragte der König den Zauberer „Hast du auch ein Geschenk für uns?“ „Das habe ich.“, antwortete der Zauberer düster. „Auch wenn du dich vielleicht nicht darüber freuen wirst.“ „Na dann lass mal hören.“, sagte der König, und der Zauberer begann.

„Ich werde euren Boden mit Schätzen segnen. Unzählige Rohstoffe, die die ganze Welt braucht, sollt ihr darin finden. Nirgendwo anders auf der Welt sollen diese Rohstoffe zu finden sein. Außerdem will ich euch Betriebsgeheimnisse der modernsten Konzerne verraten. Dann könnt ihr alles, was sie bauen, einfach nachbauen.“

„Ja, mega!“, freute sich der König. „Und wo ist der Haken?“ „Deine Tochter!“, schrie da der Zauberer wütend. „Du musst sie einsperren in das tiefste Verlies. Nie soll ein Bürger aus dem Volk ihr Gesicht sehen. Niemals! Sonst ist es mit deiner Herrschaft vorbei.“

„Na, so hässlich ist die Kleine doch gar nicht.“, grummelte der König. Aber er sah die Reichtümer vor sich, die das Geschenk des Zauberers bringen würde. Darum willigte er ein.

So geschah es

Der Zauberer hielt sein Wort und das Land blühte auf. Die Bäuche der Bürger schwollen an wie ihre Geldsäcke und ihr Stolz. Und weil alles in dem Land zu schwellen schien, wurde es überall „Schwellenland“ genannt. Der König ließ sich von seinem Volk feiern und als Herrscher wieder wählen. Bis irgendjemand fragte „Wo ist eigentlich die Prinzessin?“

„Wie bitte?“, stellte der König sich taub. „Wo die Prinzessin ist?“, wiederholte der Frager „Wo ist Liberta?“ „Tja. Äh, also… Schaut mal da!“, rief der König und warf eine große Handvoll Goldmünzen in die Luft. Seine Diener taten es ihm nach. Das Volk jubelte und sammelte begeistert die Münzen auf, während der Frager von den Wächtern des Königs diskret abgeführt wurde.

Einige Jahre später gehörte das Land zu den Reichsten und sein Hof zu den Mächtigsten der Welt. Immer wieder ließ sich der König von seinem Volk feiern und wieder wählen.

Bis irgendwann wieder jemand fragte „Wo ist die Prinzessin? Wo bleibt Liberta?“ „Schaut mal da!“, rief der König routiniert und griff in die Staatsschatulle. Aber oh Schreck! Die Schatulle war leer. Er hatte alles Geld für seinen prächtigen Hof ausgegeben.

„Wo?“ fragte der unverschämte Bürger. „Na, da! Und da! Und überall und so.“, stammelte der König. Der Frager sah sich um. „Da ist doch nichts. Nur unser Land.“

„Was heißt hier nur unser Land?!“, brüllte der König erzürnt. „Das ist unser Land! Unsere Heimat! Wir sind die größte Nation der Welt!“ „Echt jetzt?“, staunten die Bürger. „Na klar! Wenn ich´s euch sage. Wir sind die Größten. Ehrenwort.“ „Hurra!“, riefen da die Bürger, während der Frager diskret abgeführt wurde. Sie jubelten so laut, dass sogar Liberta in ihrem Verlies es hören konnte.

Und die Moral?

Ja, wenn das hier ein anständiges Märchen wäre, würde spätestens jetzt ein tapferer Prinz auf einem weißen Pferd daher geritten kommen. Er würde den Zauberer im Kampf besiegen und vom König die Hand seiner Tochter fordern.

Dann würde das Volk, angeführt von dem Prinzen, „Liberta! Liberta!“ rufend die Prinzessin befreien und den König stürzen. Prinz und Prinzessin würden die Herrschaft dem Volk überlassen und glücklich bis an ihr seliges Ende leben, wenn das hier ein anständiges Märchen wäre.

Isses aber nicht. Und darum kam es, wie es kommen musste. Der König starb eines Tages alt und fett. Er hinterließ ein stolzes Volk und Abermillionen von Schulden.

Irgendwann fand man eine alte, tatterige Greisin im hintersten Winkel des Verlieses. Sie wurde frei gelassen und lebt seitdem als Bettlerin in ihrem Land. Ihr Gesicht ist faltig und wer sie sieht, schaut weg und betrachtet lieber die Auslagen in den Schaufenstern. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie dort noch heute.



Ist Berta vielleicht auf Youtube?


3 Kommentare

Ginchen · 16. Januar 2021 um 0:40

Super Text, lustig, aber letztendlich sehr traurig 🙁

Der sprachliche Eigen-Tor : Die Blog-Partei · 23. Januar 2022 um 19:39

[…] später auch ein Gouvernierender.Mit Stieren kämpft ein Matadierenderund Hitler, der war ein Diktierender.Das Auto treibt ein Ottomotierenderdie Webseite ein […]

Onkel Joe und die Menschenrechte : Die Blog-Partei · 17. April 2021 um 17:07

[…] neuen wird alles besser.“Und dann kommt dieser alte weiße Mann und will mit uns über Werte reden. Demokratie, Menschenrechte, das volle Programm.Also nicht dass wir nicht dafür wären. Wir sind schließlich […]

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